Teil 3
Ich schaffte es tatsächlich bis zum nächsten morgen durchzuschlafen und schlurfte gegen 9 Uhr die Treppe runter. In letzter Zeit war ich wirklich immer übelst müde. Meine Tante war nirgends zu sehen, aber da ihr Auto auf dem Hof stand, konnte ich davon ausgehen, dass sie im Keller saß und an einer neuen Kollektion arbeitete. Ich überprüfte die Kaffeemaschine und stellte fest, dass sie heute bestimmt noch nicht gelaufen war. Also hatte Martta auch noch nicht gefrühstückt. Ich ging in den Flur, nahm meine Jacke von der Garderobe, schlüpfte in meine Turnschuhe und joggte zum nächsten Bäcker um erst einmal Brötchen zu holen. Als ich zurückkam strömte mir der Geruch von frischem Kaffee entgegen. Welch ein Timing. Nach dem Frühstück überredete meine Tante mich zu einem Einkaufsbummel. Normalerweise plante ich solche Unternehmungen schon Tage im Voraus. Ich schrieb mir genauestens auf was ich brauchte und wo ich es voraussichtlich bekommen würde, zog dann los und war spätestens nach einer Stunde fertig. Nicht aber mit meiner Tante. Sie zog mich stundenlang durch irgendwelche Boutiquen die ich sonst nie im Leben betreten hätte und ich musste Klamotten anprobieren, die ich zwar wirklich hübsch fand, aber normal im Leben nicht anziehen würde weil ich meiner Meinung einfach nicht fraulich darin aussah. Ich sah in gar nichts wirklich fraulich aus. Um meine Tante nicht komplett zu beleidigen (denn sie fasste sowas beinahe als Verrat auf) nahm ich an mir von ihr so zwei, drei Outfits schenken zu lassen. Ich wusste genau dass sie in der hintersten Ecke meines Schrankes vergammeln würden. Als wir nach 2 Schuhläden in einem Café halt machten, fiel mir sofort ein Junge in meinem Alter auf, der mit einem Mädchen um die 14 ein paar Tische weiter saß. Ich erkannte ihn sofort, es war Veli Matti Lindström. Ich bewunderte ihn tierisch für seinen Stil beim Springen und hatte mir ein paar Kniffe bei ihm abgeguckt. Vor ein paar Wochen war ich sogar bei einem Springen am Holmenkollen vor ihm gesprungen nachdem der Springer vor ihm gestürzt war. Ich beachtete ihn jedoch nicht weiter und erzählte meiner Tante das neueste vom Springen und aus der Schule. Wir hatten gerade unseren zweiten Kaffee bestellt als ein Mädchen an unseren Tisch trat. Eben hatte sie noch bei Vellu am Tisch gesessen. Sie wirkte etwas aufgeregt und wandt sich an meine Tante. „Entschuldigen Sie bitte, sind Sie nicht Martta Laakonen? Die Designerin von ’Angelique’?“ Angelique war das Modelabel für das meine Tante arbeitete. „Ja, ich bin Martta Laakonen. Freut mich sehr deine Bekanntschaft zu machen und wer bist du?“ Das Mädchen errötete. „Ich bin Siina Maari Lindström und ein großer Fan von ihnen. Ich möchte später auch Designerin werden und am liebsten an der Uni in Oslo studieren.“ Ich musste grinsen. Genauso hatte es meine Tante gemacht, denn die Uni in Oslo hatte sehr viele gute Designer hervorgebracht und war in Sachen Design eine der renommiertesten in ganz Skandinavien und anscheinend war diese kleine hier Vellus Schwester. Ich sah zu ihm hinüber und hätte fast laut gelacht. Er saß da, sah der Kleinen zu, schüttelte grinsend den Kopf und hielt sich dann die Hand vor die Augen. „Na, wenn du Talent hast wirst du das bestimmt schaffen Siina. Ich drücke dir die Daumen.“ Sie wurde noch eine Spur röter. „Oh, danke. Ich hoffe das ich Talent habe, ich...“ „Hey Siina, belästige Frau Laakonen doch nicht.“ Wow, ich war ganz baff. Vellu war an unseren Tisch getreten um seine Schwester in ihrem Eifer zu stoppen und er hatte eine verdammt tiefe Stimme. „Ach Quatsch, sie belästigt mich doch nicht. Herr Lindström was denkst du immer???“ Jetzt war ich erstaunt, meine Tante duzte ihn. Aber woher sollte sie ihn persönlich kennen? „Ich denke nur gutes von ihnen Martta.“ Er grinste sie breit an während ich gespannt die Situation beobachtete. „Herr Lindström, als ich dir das ’du’ angeboten habe meinte ich das auch so, und jetzt siez mich nicht mehr und setz dich mit deiner Schwester endlich zu uns.“ Ja so und nicht anders war meine Tante. Die kleine Siina nahm mit hochrotem Kopf neben mir Platz, doch Martta deutete auf den Platz neben sich. „Du setz dich mal zu mir. Du bist also Vellus Schwester!“ Vellu hatte die Getränke vom anderen Tisch zu uns hergeschafft und auch unser Kaffee wurde gebracht. Er setzte sich neben mich und meine Tante nahm das Ruder wieder in die Hand. „Die junge Dame hier ist übrigens meine Nichte Sirka aus Oslo. Sie springt auch.“ Vellu schüttelte meine Hand während seine Schwester mir nur schüchtern zunickte. „Bist du nicht beim Springen vor ein paar Wochen vor mir vom Bakken gegangen?“ Oh jetzt war ich etwas baff, denn ich dachte nicht, dass die Profis uns Vorspringer überhaupt wahrnehmen würden. „Ja genau, das war ich.“ Er machte mir ein Kompliment für meinen Sprung und wandt sich dann meiner Tante zu. „Ich wusste gar nicht dass du Verwandtschaft in Norwegen hast.“ Martta sah ihn gespielt empört an. „Wusstest du etwa nicht dass ich gebürtige Norwegerin bin?“ Vellu schüttelte den Kopf und seine Schwester platzte heraus: „Vellu, sowas weiß man doch.“ Wahrscheinlich erschrocken über sich selbst lehnte sie sich wieder zurück und ihre Gesichtsfarbe wechselte wieder von normal in knallrot. Meine Tante rettete die Situation in ihrer gewohnt lockeren Art. „Genau. Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Schwester.“ Und an Siina gewandt meinte sie: „Also wenn du Lust hast kannst du gerne mal bei mir vorbeikommen und dir meine kleine ’Werkstatt’ ansehen. Ich könnte dir auch die Kollektion zeigen an der ich gerade arbeite.“ Siinas Schüchternheit schien vollkommen zu verschwinden und sie sah meine Tante völlig verblüfft an. „Ja wirklich? Das wär... das wär voll galaktisch. Oh Vellu hast du das gehört?“ Vellu lachte und nickte. „Ja, das hab ich gehört. Martta das ist wirklich voll nett von dir. Siina hat ihr ganzes Zimmer mit Bildern von deinen Kleidern tapeziert.“ „Oh wirklich?“ Meine Tante schien ein wenig überrascht. „Ich dachte Mädchen in ihrem Alter tapezieren sich die Wände mit Postern von den Backyard Boys.“ Ohje, meine Tante schien keine Ahnung zu haben warum wir in so großes Gelächter ausbrachen. Als wir ihr aber erklärten das es Backstreet Boys hieß und die ja sowas von out waren lachte sie mit uns. „Ohje, anscheinend werde ich alt... Na bring mir die Kleine morgen einfach mal vorbei.“ Vellu nickte. „Ja werde ich tun.“ Er sah auf die Uhr. „Mensch wenn ich noch zum Training will muss ich mich beeilen. Los Siina, trink aus. Tschüß Martta, Ciao Sirka, war nett dich kennen zu lernen.“ Ich schüttelte seine Hand. „Dito. Macht’s gut.“ Als die beiden bezahlt hatten und Martta und ich wieder alleine waren sah sie mich grinsend an. „Ich wusste nicht, dass ihr euch kennt.“ „Wir kennen uns auch nicht, ich bin nur mal vor ihm gesprungen. Aber woher kennst du ihn?“ „Ich hab die Outfits für die letzten Olympischen Spiele entworfen, da lernt man sich schon mal kennen. Und da wir sogar im gleichen Nest wohnen...“ Nachdem wir unseren Kaffe ausgetrunken hatten ließ ich es mir nicht nehmen meine Tante einzuladen. Zum Glück konnte ich mich erfolgreich gegen den Besuch weiterer Boutiquen wehren und wir fuhren nach Hause. „Och Sirka, komm schon. Ich hab mich schon breitschlagen lassen die Shoppingtour abzubrechen. Jetzt lass mich dir die Klamotten wenigstens passend machen.“ Meine Tante nörgelte ein wenig herum und ich verdrehte die Augen. „Warum haben wir die Sachen denn gekauft wenn sie nicht passen?“ Martta sah mich mit einem Blick an der mir deutlich sagte was sie dachte. Nämlich dass ich keine Ahnung hatte. „Sirka, es weiß doch jeder, dass du vielleicht einmal in deinem ganzen Leben ein Kleidungsstück kaufen wirst, das dir so passt wie angegossen und wo nichts dran geändert werden muss.“ Ich stemmte die Hände in die Hüften. „Heißt das die komplette Weltbevölkerung läuft mit Klamotten rum die eigentlich nicht passen?“ Meine Tante schien zu überlegen und nickte dann. „Ja ich würde sagen so über den Daumen gerechnet mehr als 99,9 % der Weltbevölkerung.“ „Wen kümmert es da ob sie mir passen oder nicht?“ Martta war sichtlich empört, denn sie bekam so kleine rote Flecken im Gesicht und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Sirka, als meine Nichte läufst du bestimmt nicht in Klamotten rum die dir nicht passen!“ Oh man, ich fühlte mich gerade wie das Töchterchen eines Ölmilliardärs die einen Smart fahren will und der Vater sagt: „Du bist meine Tochter, du hast gefälligst diesen Porsche zu fahren.“ Okay, zugegeben, gegen einen Porsche würde ich nichts sagen... Aber so. Allerdings wollte ich keinen Streit mit meiner Tante, deshalb lenkte ich ein und sagte ich würde mich gerne erst ein bisschen hinlegen und dann könnten wir das doch nach dem Abendbrot machen. Meine Tante stimmte sichtlich erleichtert zu und ich begab mich ganz schnell in die horizontale und war auch sehr schnell eingeschlafen.
Ich wachte auf, weil jemand an meiner Schulter rüttelte. „Sirka, aufwachen.“ Martta!!! „Was is’n?“ Sie sah mich seufzend an. „Es ist schon 6 Uhr morgens. Du hast tatsächlich durchgeschlafen.“ Ungläubig guckte ich auf mein Handy und tatsächlich, es war 6 Uhr morgens. „Boah, ich fühl mich trotzdem wie gerädert. Warum hast du mich geweckt?“ Martta war schon fast wieder zur Tür raus und rief: „Ich dachte du möchtest vielleicht ein bisschen joggen und auf dem Rückweg beim Bäcker vorbeischauen.“ Ich schlug mir mit der Hand gegen den Kopf, beschloss aber trotzdem aufzustehen, immerhin hatte ich knappe 12 Stunden geschlafen, das musste doch reichen. Also ging ich ins Bad um mir ordentlich kaltes Wasser ins Gesicht zu kippen, zog mich dann an und machte mich auf den Weg. Ich liebte die Gegend in der Tante Martta wohnte. Auch wenn Anders immer über Nastola lästerte, dass es ja das letzte Kaff vor der Milchstraße wär, ich mochte die Gegend, allein schon der schönen Wege zum joggen wegen. Eine Stunde später stand ich ein wenig außer Atem mit einer Tüte Brötchen in der Küche. Als ich beim Bäcker in der Schlange stand fing es draußen an zu gießen wie nichts Gutes. Also habe ich einen Sprint zu Tante Martta hingelegt und tropfte nun die Küche voll. Nachdem Martta mich eine Runde ausgelacht hatte schickte sie mich unter die Dusche, was ich mir natürlich auch nicht zweimal sagen ließ. Zwanzig Minuten später stand ich mit noch feuchten Haaren in der Küche und suchte die Ablagen nach einem Küchenmesser ab. Da stand tatsächlich ganz dreist ein Typ in unserer Küche und durchsuchte Marttas Schränke. Ich griff nach der nächstbesten Wasserflasche und gerade in dem Moment drehte er sich um. „Bleib wo du bist du Schwein, sonst ziehe ich dir die Flasche über die Rübe.“ Langsam tat ich einen Schritt auf ihn zu, wusste aber gar nicht was ich eigentlich machen sollte. Ersah mich zweifelnd an und meinte dann: „Du musst Sirka sein!“ Leicht verwirrt blieb ich stehen. „Äh...ja...“ In dem Moment betrat Martta die Küche. „Oh Sirka, du bist fertig. Sehr schön. Darf ich dir Mika vorstellen. Er ist mein… nunja...mein Freund.“ Leicht verwirrt sah ich von ihr zu ihm und wieder zu ihr. „Dein Freund???“ Fassungslos starrte ich die beiden an. Irgendwie war mir die Vorstellung Martta könnte nach Onkel Jarkkos Tod mit jemand anderes zusammen sein, nie in den Sinn gekommen. „Ähhh... oh dein Freund. Dann sind sie also kein Einbrecher!“ Martta sah mich an als hätte ich Pocken oder so. „Wie kommst du darauf dass Mika ein Einbrecher sein könnte?“ Also musste ich zu meiner Erniedrigung die ganze Story erzählen, wobei die beiden sich natürlich herrlich amüsierten. Während des Frühstücks stellte sich heraus dass dieser Mika ein echt netter Typ war, auch wenn ich den Gedanken trotzdem ein wenig komisch fand. Ich konnte mir auch gut vorstellen, dass ich ihn gehasst hätte, hätte ich Onkel Jarkko besser gekannt. Da dem aber nicht so war und es mich eigentlich auch nichts anging konnte ich ihn ruhigen Gewissens total okay finden. Nach dem Frühstück verabschiedete Mika sich, denn er musste noch zur Arbeit. Ich räumte mit Tante Martta zusammen noch die Küche auf, dann verließ sie mich in Richtung Keller um zu arbeiten. Also pflanzte ich mich gemütlich vor den Fernseher und sah mir Zeichentrickserien an. Allerdings kam Martta schon nach einer Stunde wieder hoch und meinte sie würde jetzt gerne meine neuen Klamotten ändern. Um sie nicht wieder wütend zu machen stapfte ich also hoch um die Tüten zu holen und trug sie dann gleich weiter in den Keller. Martta maß und steckte ab was das zeug hielt. Und, so erschreckend ich das auch fand, ich hatte irgendwie Spaß daran, was meiner Tante auch auffiel. Als wir fertig waren gingen wir hoch um uns einen Kaffee zu genehmigen. „Sag mal Sirka, hättest du nicht vielleicht Lust mir bei meiner neuen Kollektion zu helfen?“ Ich verschluckte mich fast vor lachen. „Wie soll ich dir denn da bitte bei helfen?“ Ich war nun wirklich der künstlerisch untalentierteste Mensch der Welt und hatte außerdem von Mode nicht den leisesten Schimmer. „So wie du es eben auch gemacht hast. Ich stecke lieber am lebenden Menschen ab als an einer Puppe. Also was ist, hast du Lust?“ Wie gesagt, das ganze hatte mir ja schon irgendwie Spaß gemacht und da ich eh nichts anderes vorhatte sagte ich zu. Ich musste wohl oder übel auch zugeben das meine Tante da wirklich sehr schöne Sachen machte und ich fühlte mich ein ganz bisschen geehrt sie als erste anhaben zu dürfen. Ich steckte gerade in einem langen, wallenden Abendkleid und Martta steckte es an der Taille ab. Ich durfte mich wirklich kein Stück bewegen, ansonsten wäre ich wohl über den Saum fallen. Bis jetzt war das Kleid noch gute 15 cm zu lang. Als es klingelte meinte Martta das ich doch bitte schnell hochlaufen soll, sie wäre ja nun auch nicht mehr die jüngste und würde die Treppen nicht so schnell hochkommen. Also raffte ich das Kleid hoch, sprang von dem Hocker und sprintete die Treppen hoch, sehr darum bemüht an dem Kleid nichts zu zerstören. Ich öffnete die Tür und wäre beim Anblick der Person vor der Tür am liebsten im Boden versunken. „Hey wie siehst du denn aus?“ „Anders, sag nichts und komm einfach rein.“ Ich packte meinen Bruder am Arm und zog ihn in den Flur. Er musterte mich von oben bis unten und ich erwartete schon einen Spruch, aber er nickte nur anerkennend und murmelte etwas, das sich anhörte wie ’Das solltest du öfter tragen’. Naja, mein Bruder halt. „Was machst du schon hier?“ fragte ich ihn. „Er stellte seine Tasche ab und hängte seine Jacke an die Garderobe. „Joa, ich dachte ich komme ein paar Tage früher und wir fahren mal nach Lahti rein und machen die Stadt unsicher. Nicht das du mir in der einen Woche komplett versauerst. „Hm, wenn du meinst. Komm mit runter, Martta wartet.“ Wir waren gerade die Hälfte der Treppe runtergegangen als es erneut klingelte. Ich seufzte. „Geh einfach runter, der zweite Raum auf der linken Seite, ich komm gleich nach.“ Während Anders weiterging machte ich kehrt und lief erneut zur Tür. Ich riss sie auf und blickte einem großen Strauß Blumen ins ’Gesicht’. „Ähhh.“ Der Strauß verschwand und Vellu kam zum Vorschein. Auch er besah mich erst mal in aller Ruhe. „Wow, du siehst toll aus.“ „Danke“, meinte ich zerknirscht. „Komm doch rein.“ „Ja. Äh, ich will dir nicht zu nahe treten, das Kleid ist toll, aber meinst du nicht es ist ein wenig zu lang?“ Er sah mir amüsiert zu wie ich das Kleid zusammenraffte um wieder vernünftig gehen zu können. Warum ist da auch so viel Stoff dran? „Äh, ja ich bin wahrscheinlich einfach zu klein. Nee im Ernst, Martta steckt es gerade um. Wir sind im Keller.“ Plötzlich hörte man Martta schreien. Wir sahen uns erschrocken an, aber ich konnte Vellu nach der ersten Schrecksekunde beruhigen. „Das war Martta. Mein Bruder ist eine Minute vor dir überraschend vorbeigekommen und hat sie entweder tierisch erschreckt oder sie freut sich einfach so.“ Vellu grinste. „Ach so. Ja, gehen wir dann auch runter oder ist das Sperrgebiet?“ Ich grinste ihn an. „Normalerweise darf da ja nicht jeder rein, aber ich denke wir können mal ’ne Ausnahme machen. Folge mir unauffällig.“ Wir tappten die Treppe runter und brachen gleich in einen kollektiven Lachflash aus. Da stand Martta auf dem Sockel und kniff Anders, der davor stand, in die Wangen. „Oh mein Junge, wie lange hab ich dich nicht gesehen?“ „Ähhh Martta, wir haben Besuch.“ Die beiden bemerkten uns und Anders half Martta von dem Sockel zu kommen. „Hallo Vellu, schön das du vorbeikommst. Sind die für Sirka?“ Sie deutete auf die Blumen in seiner Hand. Vellu wurde etwas verlegen und meinte es wäre nur noch ein schöner Strauß dagewesen und er wollte lieber mit einem hübschen und ohne hässlichen zweiten kommen. Außerdem wäre der dafür, dass seine Schwester mal vorbeikommen dürfe. Nur heute würde es wohl nicht passen, daran hätte gestern nur keiner von den beiden gedacht. „Das ist vollkommen okay Vellu, ich werde ihn mir mit Sirka teilen. Und du komm wieder auf den Sockel damit wir weitermachen können, wir können uns nebenbei noch unterhalten.“ Ich sah aus den Augenwinkeln wie Anders und Vellu sich freundschaftlich begrüßten. Klar, sie waren wochenlang gemeinsam unterwegs, da mussten sie sich ja kennen. Ich raffte das Kleid wieder zusammen und versuchte auf den Sockel zu klettern was nicht ganz so einfach war. Kurzerhand packte Anders mich und stellte mich oben ab. „Vielen Dank Bruderherz.“ „Für dich doch alles Schwesterlein.“ Vellu und Martta mussten stark grinsen. Vellu stellte sich schräg hinter Martta und sah Anders und mich an. „Ich hab echt nicht gewusst dass ihr Geschwister seid, dabei seht ihr euch schon ziemlich ähnlich.“ Anders legte den Arm um mich. „Ja, die Schönheit ist in unserer Familie wirklich gerecht aufgeteilt.“ Ich kniff ihn in den Arm und meinte: „Anders du hast doch echt ’nen Vogel.“ „Hey Schwester, mach mich nicht so von oben herab an, ich komm dir da gleich hoch.“ Dazu muss ich sagen das ich locker 20 cm kleiner als mein lieber Bruder bin und ich ihn durch den Sockel gerade mal um vielleicht 5 cm überragte. Ich grinste ihn an und streckte ihm die Zunge raus. Er drehte sich beleidigt weg und wandte sich an Vellu: „Komm Lindström, lass uns hoch gehen was trinken. Wir sind hier anscheinend nicht erwünscht.“ Vellu grinste und folgte Anders nach oben. Als Martta mit dem Kleid fertig war bat ich sie um eine Pause. „Tantchen ich würde mich echt gerne hinlegen, ich bin saumüde.“ Martta nickte und sah mich etwas besorgt an. „Du bist in letzter Zeit dauernd müde. Was ist nur los mit dir? Vielleicht solltest du dich mal untersuchen lassen.“ Ich nickte. „Ja vielleicht mache ich das mal.“ Ich sagte das nicht nur so, ich wär momentan wirklich immer müde und ich hatte mir vorgenommen dieses Jahr früher mit dem Training anzufangen da meine Kondition in letzter Zeit auch rapide abgenommen hatte und wenn ich soviel trainieren musste und nebenbei noch zur Uni gehen wollte, dann konnte ich mir echt nicht erlauben immer müde zu sein. Irgendwann würde ich geweckt... Naja... Ob man das so nennen kann? Anders stürmte in mein Zimmer und rief: „Aufstehen Schwesterlein, PAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARRRRRRTTTTTYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY.“ Ich rieb mir die Augen und sah ihn böse an. „Sag mal Anders, hast du nen Schaden mich mitten in der Nacht zu wecken?“ Er grinste und sprang zu mir ins Bett. „Von wegen mitten in der Nacht, es ist gerade mal halb zehn und Vellu und ich haben beschlossen noch wegzugehen. Und du kommst mit!“ Ich maulte das ich keine Lust hätte und zog mir die Decke über den Kopf. Anders zog sie allerdings gleich wieder weg. „Komm schon Sirka, du schläfst jetzt schon seit über vier Stunden, das muss doch reichen. Bitte!“ Oh wenn er diesen Dackelblick aufsetzte konnte ich einfach nicht nein sagen. „Boah na gut, wenn du dann endlich Ruhe gibst. Ich mach mich fertig.“ „Jäs!“ Damit sprang er von meinem Bett und lief auf den Flur und die Treppen runter. „Vellu, sie kommt mit.“ Oh man. Genervt schlug ich die Decke zurück und sprang unter die Dusche. Sonst würde ich wahrscheinlich schon beim anziehen wieder einschlafen. Danach zog ich mir meine Klamotten über und ging runter. Martta, Anders und Vellu saßen im Wohnzimmer. Kaum das ich den Raum betrat sprang Martta auf. „Hey Sirka, ich hab dir eben schon eins deiner neuen Outfits fertig gemacht. Lauf schnell hoch und zieh es an.“ Oh nein, nicht auch das noch. „Ähhh Tante Martta, ich glaub nicht dass das heute unbedingt sein muss. Soweit ich weiß wollten wir nur in eine Kneipe gehen was trinken. NICHT WAHR JUNGS?“ Die beiden grinsten mich an und Anders meinte: „Nö, wir dachten richtig schön an Disco, mit tanzen und allem drum und dran. Da kannste dich ruhig schön aufbrezeln.“ Oh ich hätte meinen Bruder erwürgen können. „Ich hab aber keine Lust mehr mich noch umzuziehen.“ Daraufhin startete eine Diskussion darüber ob ich mich noch umziehen sollte oder nicht. Dabei stand es Martta und Anders gegen mich. „Boah Vellu sag doch auch mal was,“ bat ich ihn. Etwas überrascht so plötzlich seine Meinung äußern zu sollen sagte er erst mal nichts und überlegte. „Naja, ohne jetzt jemandem nahe treten zu wollen, wenn sie das jetzt nicht anziehen will kann sie ja keiner zwingen.“ Oh dafür hätte ich ihn knuddeln können. „Ha, seht ihr? Also ich ziehe das nich an.“ „Moooomentchen mal“, schaltete sich Anders noch ein. „Es steht jetzt 2:2, also unentschieden.“ Überlegen grinste er Vellu und mich an. „Ja aber Vellu kommt gebürtig von hier, seine Stimme zählt doppelt und jetzt los, sonst könnt ihr alleine gehen.“ Zum Glück gab Anders nach und wir verabschiedeten uns ganz schnell. Im Auto fragte Anders wo wir denn nun hinwollten, nach Lahti oder in Nastola bleiben. „Ich würde ja sagen Lahti, weil in Nastola ist ja eh nix los.“ Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. „Wollt ihr damit sagen das ihr nicht mal wisst wo wir heute Abend hingehen?“ Anders nickte. „Genau so ist es. Was hättest du denn lieber?“ „Das ist einfach, am liebsten hätte ich mein Bett. Aber da euch das als Antwort wohl nicht reicht, würde ich sagen Nastola genügt vollkommen.“ Anders verdrehte die Augen. „Siehste Vellu, die liebt euer Kaff wirklich. Ich weiß nicht was man hier so toll finden kann, hier klappen doch um 8 die Bürgersteige hoch.“ Vellu sah Anders gespielt böse an. „Ich glaube jetzt hast du dir zwei Feinde gemacht.“ Damit schnallte er sich ab, öffnete die Tür und stieg hinten bei mir wieder ein. „Breit grinsend meinte er zu Anders: „Ich glaub du bist überstimmt, Bardal. Fahr schon los, ich sag dir wo lang.“ Darauf hatte Anders komischerweise keinen blöden Spruch auf Lager und irgendwann hielten wir vor einer Kneipe. Schon war Anders wieder am motzen. „Was ist das denn? Ich denke wir gehen in ne Disco und lassen es ordentlich krachen?“ „Und ich dachte wir gehen einfach gemütlich was trinken. Ich meine das reicht doch wirklich. Und guck dir deine Schwester mal bitte an, die schläft gleich wieder ein.“ Er zwinkerte mir zu, als Zeichen dass die Anspielung nicht böse gemeint war. Anders war also wirklich überstimmt. Er maulte zwar rum, aber wir versprachen ihm auch nochmal nach Lahti zu fahren um so richtig die Sau rauszulassen. Damit gab er sich vorerst zufrieden. Wir betraten die Kneipe und ich war sehr überrascht. Es war wirklich urgemütlich und der Wirt war sehr niedlich. Der war noch kleiner als ich, kugelrund und er hatte anscheinend beste Laune. Vellu und Anders stritten rum wer zurück fährt, denn beide hatten anscheinend Lust sich vollaufen zu lassen. „Lasst mal Jungs, ich fahr schon.“ Die beiden sahen mich verwundert an. „Bist du dir sicher?“ Anders befühlte meine Stirn, als ob ich Fieber hätte. „Ja sichi. Ich schlag mich gerne mit zwei Besoffenen rum.“ *gg* Anders hob die Augenbrauen und wandt sich dann an Vellu. „Weißt du, sie guckt nämlich auch ganz gerne mal tief ins Glas und in Oslo entscheiden wir uns dann meist fürs Taxi.“ Vellu grinste mich an. „Das wär doch die Idee, wir bestellen uns einfach ein Taxi und morgen... Mittag joggen wir her und holen das Auto.“ Anders war sofort Feuer und Flamme, aber ich winkte ab. „Nee lasst mal, mir ist heute nicht nach saufen.“ Anders sah mich zweifelnd an. „Du solltest echt mal zum Arzt gehen, pennst den lieben langen Tag und willst nicht saufen. Du MUSST krank sein.“ Ich nickte. „Genau so wird es sein.“ Ich hatte jetzt absolut keine Lust auf eine Diskussion mit meinem Bruder. Wir bestellten dann zwei Bier und eine Cola und man merkte den beiden Jungs den Alkohol wirklich schnell an. Im Großen und Ganzen war es auch ein wirklich gelungener Abend. Total gegenteilig zu dem was ich erwartet hatte. Als der Wirt dann die Stühle hochstellen wollte bezahlten wir und ich schleppte die beiden zum Auto. „Lass doch ma noch ssu Macces fahn“, lallte Anders von der Rückbank. Ich verdrehte die Augen und fuhr ohne auf ihn zu reagieren weiter. Zum Glück schlief er kurz danach ein und auch Vellu war ins Land der Träume übergesiedelt. Allerdings kannte ich mich in Nastola wohl doch nicht so gut aus wie ich behauptet hatte, denn irgendwann musste ich mir selbst eingestehen das ich mich absolut verfahren hatte. Vorsichtig weckte ich Vellu, der mich mit ganz kleinen Augen ansah. „Sin wa denn schon da?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nee, ich glaub ich hab mich verfahren.“ „Oh.“ Vellu setzte sich richtig hin und sah sich einen Moment lang um. „Los, lass ma Plätze tauschn, isch fahr jetz.“ Ich hielt ihn davon ab sich abzuschnallen. „Vellu, du darfst nich mehr fahren.“ „Isch hap abba nen Führerschein.“ Oh war der niedlich wenn er besoffen war. „Ich weiß, aber du hast zu viel getrunken.“ „Oh, isch hap misch schon gewundert dasses hier so nach Bier riescht.“ Ich grinste, erinnerte mich dann aber wieder an unser Problem. „Also, weißt du wo wir sind?“ Er nickte. „Du muss umdrehn und anna Kreuzung links.“ Ich betete zu Gott das er Recht hatte und fuhr los. Allerdings schien er wirklich noch gut beieinander zu sein, denn wir fanden ohne weitere Zwischenfälle zurück. Ich fuhr Vellu noch zu Hause vorbei und musste mich dann mit Anders rumärgern, der erst nicht aus dem Auto rauswollte und dann meinte nicht mehr gehen zu können um sich volle Breitseite auf mich zu lehnen. Am nächsten morgen schlief ich wieder bis in die Puppen und wurde irgendwann von Anders geweckt. Das war schon sehr ungewöhnlich, denn normalerweise war er der Langschläfer der Familie. „Sag mal Sirka, wie sind wir eigentlich nach Hause gekommen?“ Ich grinste innerlich und meinte mit todernster Miene: „Also wie du nach Hause gekommen bist weiß ich nicht, Vellu und ich sind mit dem Auto gefahren!“ Anders sah mich an als würde mir ein Geweih aus dem Kopf wachsen. „Und ihr habt mich nicht mitgenommen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Du wolltest ja nicht. Der Herr wollte sich ja nicht von seiner heißen Blondine losreißen. Ja und die meinte dann auch, sie bringt dich noch nach Hause.“ Anders bekam Augen wie Tischtennisbälle. „Ich hab ne heiße Blondine abgeschleppt?“ Ich grinste. „Naja, ich würde eher sagen die hat dich abgeschleppt.“ Anders grinste breit und machte sich auf wieder zu gehen. „Krass, muss ich mal gucken ob ich irgendwo ihre Nummer habe.“
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