Teil 20
Total perplex folgte ich ihm wenig später in die Küche. „Wenn du noch weiter in den Kühlschrank reinkriechst kommst du als Eisklotz wieder raus, sobald du den Rückweg gefunden hast.“ Björn schloss die Kühlschranktür mit einer Flasche in der Hand und grinste mich an. „Na, hast du deine Sprache wiedergefunden?“ Verlegen kniff ich die Lippen aufeinander und sah ihn an. „Jetzt komm schon her. Willst du auch was?“ Ich nickte und stellte mich neben ihn. Vorsichtig hob er mich auf die Anrichte und drückte mir ein Glas Cola in die Hand. „Jetzt müssen wir bei jedem Beziehungsjubiläum Cola trinken!“ Ich zog die Augenbrauen hoch während ich trank. „Wieso das?“ – „Na weil das das erste ist, was wir gemeinsam trinken.“ Immernoch mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. „Genau. Und dann tanzen wir Walzer zu Eminem, weil der gerade im Radio läuft.“ Björn schaltete grinsend das Radio ab, stellte sich dicht vor mich und legte seine Hand in meinen Nacken. „Na vielleicht können wir uns dazu ein anderes Lied suchen.“ Langsam zog er mich zu sich herab und küsste mich. Im nächsten Moment räusperte sich jemand und wir fuhren auseinander. Björns Vater grinste uns an und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Also wenn ich gewusst hätte, dass ich hier seid, wären wir noch nicht nach Hause gekommen.“ Hinter ihm lugte seine Mutter grinsend hervor. „An den Anblick werdet ihr euch wohl gewöhnen müssen.“ Björn grinste die beiden an und trank einen Schluck. Seine Mutter trat ganz ein und legte ihre Handtasche auf den Tisch. „Ihr wisst ganz genau, dass wir die letzten sind, die sich hier an was gewöhnen müssen. Es war schon immer unser Wunsch, dass ihr beide zusammenkommt.“ Björn hob abwehrend die Hände und lachte. „Das stimmt, aber fangt bitte nicht an unsere Hochzeit zu planen. Wir müssen uns nämlich erstmal selbst ein bisschen daran gewöhnen!“ Er zwinkerte mir zu und ich nickte nur. Dann hob er mich wieder von der Anrichte und zog mich hinter sich her, über den Flur in Richtung Treppe. Vor der ersten Stufe zögerte ich. „Björn, ich glaube ich sollte gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag.“ Björns Miene, die für einen Augenblick schon wieder einen säuerlichen Ausdruck angenommen hatte, wurde leicht traurig. „Daran hab ich schon gar nicht mehr gedacht. Aber ich bring dich nach Hause.“ Ich grinste und kniff ihm in die Wange. „Ich werde dich nicht davon abhalten.“ Während Björn mich begleitete sprachen wir beide kein Wort. Björn wahrscheinlich einfach, weil er seinen Gedanken nachhing, ich jedoch, weil ich Björn nicht erzählt hatte wie die nächsten Tage und Wochen genau aussehen würden. Als wir am Gartentor angekommen waren schlang Björn von hinten seine Arme um mich und küsste meinen Nacken. „Björn das kitzelt!“ Ich drehte mich um und schlang meine Arme um seine Hüften. „Wann kann ich dich besuchen? Ist das morgen schon erlaubt?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Klar, mit mir passiert weiter noch nicht so viel, morgen ist Anders erstmal dran. Die Transplantation ist erst nächste Woche.“ Björns Blick war verwundert und fragend und mir war klar, dass ich ihm nun alles erzählen musste. „In den letzten Tagen war ich immer im Krankenhaus während Anders und du beim Training wart. Ich muss erst eine Chemotherapie machen und hatte meine ersten Sitzungen.“ Da Björn nicht antwortete redete ich einfach weiter. „Mein krankes Knochenmark wird durch die Bestrahlung zerstört, das muss passieren bevor die Transplantation gemacht wird. Ich hab das bis jetzt ganz gut vertragen, deshalb musste ich nicht ins Krankenhaus. Aber es wird schlimmer und deshalb muss ich ab morgen dableiben.“ Björn nickte zum Zeichen, dass er verstand. „Was passiert mit Anders?“ – „Sie entnehmen ihm morgen ungefähr einen Liter Knochenmark-Blut-Gemisch.“ Björns Augen weiteten sich und ich lachte leise. „Keine Angst, das passiert unter Vollnarkose und sein Körper hat das in ungefähr 2 Wochen reproduziert. Danach werden die Stammzellen daraus isoliert und gegebenenfalls gereinigt. Das war’s für ihn, er kann nach ein oder zwei Tagen wieder nach Hause. Er wird sich fühlen, als hätte er Muskelkater und kriegt eventuell Hämatome an der Einstichstelle, die sind aber auch fix wieder weg.“ Björn schüttelte den Kopf. „Gibt’s da keine andere Methode? Vollnarkose ist ja nicht so ganz ohne.“ – „Ja gibt’s auch. Aber dann hätten sie ihm eine Woche lang Hormone gespritzt, damit Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut übergehen. Dann hätten sie ihm nur Blut abgenommen und die Stammzellen rausgefiltert. Die haben ihm allerdings erzählt, dass er durch das Medikament voraussichtlich mehr oder weniger starke Grippesymptome kriegen wird und darauf hatte er keine Lust.“ Grinsend drückte Björn meine Hand. „Das sieht Anders ähnlich. Und was passiert dann mit dir?“ Ich holte tief Luft. „Nach der Chemo krieg ich die Stammzellen intravenös. Also total unspektakulär. Die suchen sich ihren Weg in den Knochen selbst und fangen nach ungefähr 10 Tagen mit der Produktion der Blutzellen an. Danach hab ich ein Immunsystem wie ein Säugling und ich kann theoretisch alle Kinderkrankheiten nochmal kriegen.“ Wir grinsten beide bei dem Gedanken, Björn wurde allerdings sofort wieder ernst. „Aber die Chemo läuft nicht so easy wie die Transplantation, hab ich Recht?“ Betreten nickte ich. „Je gründlicher die Chemo ist, desto schwerer sind die Nebenwirkungen. Allerdings ist die Gefahr eines Rückfalls dadurch geringer und dafür nehme ich das in Kauf. In 6 – 8 Wochen kann man dann absehen ob die ganze Aktion einigermaßen erfolgreich war oder nicht. Aber selbst dann ist ein Rückfall noch möglich. Damit muss ich dann leben.“ Björn dachte lange über das gesagte nach, ich überlegte wie ich das, was mir im Kopf rumging formulierte und entschloss mich für die einfachste Methode. „Björn es kann sein, dass es mir in der nächsten Woche durch die Chemo richtig schlecht geht.“ Er sah zu Boden und drückte meine Hand. „Willst du mir sagen, dass ich dich nicht besuchen soll?“ Ich atmete tief durch. „Ich weiß es nicht. Eigentlich will ich, dass mich so niemand sieht. Das hat nix mit dir speziell zu tun, am liebsten wär mir wenn auch Anders und meine Eltern wegbleiben würden. Aber die werden sich wohl nicht abhalten lassen.“ Erwartungsvoll sah Björn mich an, er wirkte jedoch nicht, wie ich es eigentlich erwartet hatte, sauer und wütend. Eher etwas enttäuscht. „Ich will dir nicht verbieten mich zu besuchen. Ich bin gern mit dir zusammen und bin froh dich in meiner Nähe zu haben. Ich will nur das du weißt, dass ich dann anders sein werde. Ich werde mich wahrscheinlich verdammt elend fühlen und dementsprechend aussehen. Das ist was anderes als jetzt. Ich verlier vielleicht meine Haare.“ Das war mein allergrößtes Problem und verlegen drehte ich mich weg und setzte mich auf den großen Stein neben unserem Gartentor. Björn hockte sich vor mich und nahm seine Hände in meine. „Hey, mir ist klar, dass du vielleicht nicht wie das blühende Leben aussehen wirst. Und ich weiß, dass es mir wehtun wird dich so leiden zu sehen! Aber noch mehr wehtun würde es mir, wenn ich dich gar nicht sehen könnte. Und das mit deinen Haaren: Wenn du willst such ich mit dir zusammen eine Perücke aus. Das wär DIE Gelegenheit mal eine andere Frisur auszuprobieren.“ Ich lachte und gab ihm einen Kuss. „Das ist lieb von dir. Also sehen wir uns nächste Woche.“ Björn nickte. „Tust du mir noch einen Gefallen?“ Er stand auf, zog mich vom Stein hoch, setzte sich selbst darauf und zog mich auf seinen Schoß. „Jeden!“ Ich legte meine Arme um seinen Nacken und meine Stirn an seine. „Kümmer dich um Anders! Du bist sein bester Freund und er vertraut dir. Meine Eltern werden dafür kein Gefühl und vor allem keinen Kopf haben. Ich weiß, das ist viel verlangt, aber ich wüsste nicht, wen ich sonst fragen soll.“ Björn fing an zu grinsen und schob mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nur unter einer Bedingung.“ Abwartend sah ich ihn an. „Ich darf mit nach Hawaii!“
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