Kimi hatte so langsam die Nase voll. Erst die platten Reifen durch Nägel, dann den Fisch im Ferrari, den zerkratzten Lack beim Fiat, zwischenzeitlich abgetretene Außenspiegel, Bananen im Auspuff, Zucker im Tank, Fettcreme auf den Fensterschreiben... „Ich verstehe das einfach nicht. Ich habe doch niemandem etwas getan.“ „Ach Kimi, vielleicht ist jemand einfach nur neidisch auf deinen Erfolg.“ Versuchte seine Mutter Paula ihn am Telefon zu trösten. „Ja, vielleicht.“ Kimi setzte sich aufs Sofa und kraulte seinen Hund Ajax. „Wie geht es Papa und Raimi?“ „Die beiden sind beim Kart.“ Seufzte sie. „Ich soll dich ganz lieb von deiner Tante Lissy grüßen. Sie war vorhin hier und nach dir gefragt.“ „Grüß bei nächster Gelegenheit zurück.“ „Mache ich.“ Kimi sah auf die Uhr. „Mama, es tut mir Leid. Ich muss Schluss machen. In einer Stunde muss ich schon wieder los.“ „Wie geht es eigentlich Nicole?“ fragte sie beiläufig. „Du hast schon lange nichts mehr von ihr erzählt.“ „Äh… es gibt keine Nicole mehr. Ich bin wieder Single.“
Linda Steward saß wütend in ihrem Büro. Immer wieder sah sie auf die Uhr. Grummelnd nahm sie ihr Telefon und wählte seine Nummer. „Was?“ blaffte er ins Handy. „Räikkönen, ich warte auf dich.“ „Wieso?“ „Wir hatten vor über einer Stunde einen Termin. Es sollte ein Interview geben.“ „Davon weiß ich nichts.“ „Kimi, hör auf mit dem Mist. Ich habe es dir vorhin gesagt. Also sieh zu, dass du hier her kommst.“ „Ich bin mitten im Training.“ „Wie lange brauchst du noch?“ „Keine Ahnung.“ „Gib es zu, du willst gar kein Interview.“ „Was interessieren mich Interviews?“ „Das gehört auch zu deinen Pflichten!“ fauchte sie. „Und es ist dein Job irgendwas zu erzählen.“ Er drückte das Gespräch weg. Wütend knallte sie den Hörer auf ihr Telefon. „Langsam reicht es mir mit dir.“
Lucy schmiegte sich an Kimi. Neben ihr saß noch Marie, die in seinen Armen lag und wild mit ihm knutschte. Kimi hob die Hand und orderte eine weitere Flasche Champagner. So fühlte er sich wohl. Vergessen war jeglicher Stress und alle Probleme. Er war kurz bei einem Sponsorenessen gewesen und anschließend mit den Geschwistern Lucy und Marie in einer Nobeldiskothek gelandet. Nun saßen sie in der hintersten Ecke und waren abwechselnd wild am knutschen und trinken. Der Reporter grinste in sich hinein. Das würde tolle Fotos geben!
Linda stand in Jean Todts Büro und starrte aus dem Fenster. „Ich bin es langsam Leid. Er macht was er will.“ „Das ist keine tolle Presse, besonders wenn man bedenkt, dass Marie noch nicht Volljährig ist.“ „Und, wie soll es jetzt weitergehen?“ „Linda, da bist du gefragt.“ „Es ist immer das Gleiche. Ich will nicht mehr. Ständig versäumt er seine Termine, landet in Schlägereien, ist betrunken oder leistet sich sonst was. Es geht hier schon lange nicht mehr um Sport. Jean, ich habe keine Lust mehr!“ „Ich werde mit ihm reden.“
Kimi war wütend. Wütend auf den Reporter, der ihn erwischt hatte. Wüten über sich selbst. Warum musste er ständig in solche Fettnäpfchen treten? Warum er? Warum passierte so was nicht Felipe? Anscheinend zog er es an. Bei Mercedes hatte er auch immer solche Probleme. „Ich muss hier raus.“ Er griff sich die Hundeleine. „Ajax, komm. Wir gehen raus.“ Sofort war sein Hund zur Stelle und wedelte fröhlich mit dem Schwanz.
Ernesto lag auf der Zuschauertribüne, während sein Frauchen mit ihrer Mannschaft an einem Wettkampf teilnahm. Emma wischte sich mit einem Handtuch über die Stirn und trocknete sich die Hände ab. „Das ist ein gutes Spiel. Ihr werdet gewinnen.“ Theo klatschte seine Mädels ab. „Emma, du gehst auf Angriff über. Zeig was du drauf hast.“ Sie nickte ihrem Coach zu, warf ihr Handtuch zur Seite und lief zurück aufs Feld. Nur einen kurzen Moment später beförderte sie den Ball ins Tor. „YEAH!“ Emma ballte eine Faust und lief zurück auf ihre Position. Wie lange schon spielte sie Handball? Waren es bereits 20 Jahre? Müsste hinkommen. „Emma, geh nach vorn.“ Rief Karen und schickte den Ball auf die Reise. Emma rannte los, drehte sich nach hinten um, fing den Ball, drehte sich nach vorn und lag im nächsten Moment auf dem Boden. „Was war das denn?“ stöhnte sie und hielt sich ihren Kopf. „Du bist mir gegen den Ellenbogen gelaufen.“ Lachte ihre Gegnerin. Nils kniete sich zu ihr. Er war der Physio des Teams. „Alles klar?“ „Nichts ist klar. Erst recht nicht mein Blick.“ „Nimm mal deine Hand vom Gesicht.“ Emma ließ ihre Hand zur Seite rutschen. „Ist etwas zu sehen?“ fragte sie vorsichtig nach. „Damit ist das Spiel für dich beendet.“ Er drückte ein Tuch auf ihr Auge. „Lass das Auge erstmal zu.“ „Okay.“ Er half ihr aufzustehen und brachte sie in die Umkleidekabine. „Man, das hätte so ein tolles Tor gegeben.“ Murmelte Emma. „Den Treffer hat jemand anderes gemacht. Leg dich mal hin.“ „Wie sehe ich überhaupt aus?“ Sie drehte sich zum Spiegel und nahm das Tuch zur Seite. „Oh!“ „Da wirst du länger etwas von haben.“ „Muss das genäht werden?“ „Nein, das ist Gott sei Dank nur ein Kratzer. Aber du wirst ganz bestimmt ein schillerndes Auge bekommen.“
Emma achtete nicht darauf wo sie lang lief. Sie hatte viel zu sehr damit zu kämpfen auf den Beinen zu bleiben. Ernesto lief brav neben ihr her. „Alles in Ordnung?“ fragte eine bekannte Stimme. „Was?“ murmelte sie und drehte sich um. „Emma?“ Kimi starrte sie mit aufgerissenen Augen an. „Was ist mit dir passiert?“ „Ich... äh...“ Er machte einen Schritt auf sie zu. „Das sieht übel aus. Sieht wie ein Schlag aus.“ „Kennst dich wohl aus, was?“ seufzte sie. „Ist dein Vater da?“ „Nein, ist in London. Schon wieder eine Modemesse.“ „Eure Haushälterin?“ „Hat heute ihren freien Tag.“ „Gut, dann kommst du mit zu mir.“ „Nein.“ Entsetzt sah sie ihn an. „Das… das geht nicht. Wirklich nicht.“ Ängstlich sah sie ihn an. „Ich beiße schon nicht.“ Kimi legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Gib mir deinen Rucksack.“ „Was machst du hier eigentlich?“ fragte sie und überließ ihm den Rucksack. „Ich war joggen.“ „Aha.“ Sie legte sich eine Hand an die Schläfe. „Willst du mir nicht sagen, wie das passiert ist?“ „Nein, lieber nicht.“ „Warum nicht?“ „Du würdest mich nur auslachen.“ „Also?“ „Hmmm, ich hab Handball gespielt.“ Er blieb stehen und sah sie an. „DU spielst Handball?“ „Ist das so ungewöhnlich? Find ich nicht.“ Brummte sie. „Ungewöhnlich nicht. Überrascht trifft es. Ich dachte immer…“ „Was?“ „Ich weiß nicht… Irgendwie hab ich immer gedacht du würdest malen oder so.“ „Malen? ICH?“ Sie riss ihr linkes Auge auf. „Nicht? Von wem sind die tollen Bilder? Die sind doch selbst gemalt.“ „Bestimmt nicht von mir. Das ist von meiner Mutter.“ „Deine Mutter malt?“ „Ja. Die ganze Zeit.“ „Deine Eltern sind geschieden, stimmts?“ „Ja.“ „Der Rest meiner Familie lebt in Finnland.“ „Und warum lebst du in so einem Nest wie Wollerau?“ „Wieso wohnst du hier?“ Emma sah Ernesto hinterher, der mit Ajax um die Wette lief. „Ich… ich hatte zu Hause Probleme.“ „Tja, ich bin hier weil es günstiger ist.“ „Du meinst wohl, der Alkohol ist günstiger.“ „Das auch.“ Er räusperte sich. „Du hast wohl die Zeitung gelesen, was?“ „Schön blöd, wenn man sich mit einer 16-jährigen ablichten lässt.“ „Willst du mir einen Vortrag halten?“ „Nein, dazu bin ich nicht die Richtige.“ Murmelte Emma. „Ich kenne dich gar nicht weiter, also lasse ich es.“ „Du bist die Erste, die mir keinen Vortrag hält.“ Er sah sie von der Seite an. „Und du bist sicher, dass du Handball gespielt hast?“
Emma fühlte sich unwohl. Sie hatte keine Ahnung wo er wohnt und war umso geschockter, als er vor dieser großen weißen Villa stehen geblieben war. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass du in so einem Kasten wohnst, oder?“ Sie sah ihn zweifelnd an. „Doch, das ist mein Haus.“ „Warum müssen Formel 1 Fahrer immer so protzen?“ „Schon mal was von Geldanlage gehört?“ „Schon mal was von Spenden gehört?“ hielt Emma dagegen. Kimi runzelte die Stirn. „Ich spende genug.“ „Du könntest auch etwas an Umweltschutzorganisationen spenden.“ „Vergiss es. Mit denen habe ich Stress genug.“ Brummte er, öffnete das große Eisentor und betrat sein Grundstück. Unsicher starrte sie die große Haustür an, die Kimi soeben aufschloss. Ernesto schoss hinter Ajax her und war einen Moment später verschwunden. „Also was ist, kommst du mit rein?“ Emma seufzte und folgte ihm. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sich hinter ihr das Tor verschloss. „Bin ich jetzt gefangen?“ fragte sie unsicher. Kimi lachte. „Glaube ich weniger.“ Neugierig sah sie sich um. Der Fußboden bestand aus grauem Marmor. Die Wände waren alle weiß. Genauso die Polstermöbel. Die Schränke waren grau. Ebenso die Küche. „Genau so stelle ich mir ne Protzhütte vor.“ Murmelte sie. „Bitte?“ „Du hast mich schon verstanden.“ „Du scheinst nicht viel von mir zu halten.“ Er lehnte sich gegen einen Küchenschrank. „Sollte ich?“ Kimi wandte sich ab und gab den Hunden frisches Wasser. Ernesto knurrte Ajax an, der sofort zurückwich und ihn als erstes an seinen Wassernapf ließ. „Dein Hund scheint ein einnehmendes Wesen zu haben. Hat er das von dir?“ „Als wenn ich ein einnehmendes Wesen hätte.“ Schnaubte Emma und ging zum Spiegel. Kimi wühlte im Eisschrank und beförderte einige Eiswürfel in ein Handtuch. „Hier. Halt das auf dein Auge.“ Emma setzte sich auf das große weiße Sofa und nahm das Handtuch entgegen. „Danke.“ Kimi drehte sich wieder zur Küche um. „Willst du einen Kaffee?“ „Nein, Danke.“ „Irgendetwas anderes?“ „Wenn du hast Wasser.“ „Pur?“ Emma drehte den Kopf und sah ihn an. „Natürlich pur. Wie trinkst du denn dein Wasser?“ „Wasser pur trinke ich höchst selten. Da kommt immer noch ein kleiner Tropfen Alk rein.“ „Schon klar, dass du ständig in den Schlagzeilen landest.“ Sie lehnte den Kopf zurück und drückte das Eis auf ihr Auge. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“ „Wieso fragst du?“ fragte sie genervt. „Ich bin nun mal nett.“ „Aha.“ Sie positionierte das Eis an einer anderen Stelle. „Also, was machst du?“ „Ich spiele Handball.“ „Aber nicht den ganzen Tag. Was machst du sonst?“ „Nichts.“ „Beruflich?“ „Übersetzungen.“ „Welche Sprachen?“ „Deutsch und Englisch.“ Log sie und richtete sich auf. „Damit kann man aber nicht viel verdienen, oder?“ Langsam nahm sie das Eis von ihrem Gesicht, stand auf und schmiss es in die Spüle. „Wieso muss man eigentlich immer massenhaft Geld verdienen? Es gibt auch Leute, die ohne viel Geld glücklich sind.“ Fauchte sie ihn an. Kimi sah sie entgeistert an. Wieso sprang sie so sauer darauf an? „Habe ich was Falsches gesagt?“ „Mit so einem wie dir brauche ich mich wohl nicht über meine finanziellen Verhältnisse unterhalten, oder?“ Sie drückte ihm das nasse Handtuch in die Hand. „Danke für das Eis, aber ich glaube ich sollte nun besser gehen.“ Sie sah sich um. „Ernesto, komm. Wir gehen nach Hause.“ Sofort kam der Hund hinter ihr hergelaufen. „Emma…“ „Vergiss es einfach.“ Kimi zuckte zusammen, als die Tür hinter ihr ins Schloss krachte.
_________________ Ein Jockey schlug sein Pferd. Da drehte sich das Pferd zu ihm um und sagte: "Warum schlägst du mich denn, hinter uns ist doch gar keiner!" Henny Youngman
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