Missmutig starrte Martta aus dem von Wassertropfen verschleierten Fenster. Die Hitze der letzten Tage entlud sich dort in einem der stärksten Gewitter, die sie jemals erlebt hatte. Und das an ihrem freien Tag! Während der Semesterferien arbeitete sie beim Ferienprogramm für Kinder, das die Stadt anbot, mit. Sie mochte die Arbeit mit den Kindern und so konnte sie außerdem wichtige Erfahrung für ihren Beruf als Lehrerin sammeln. Doch jetzt hing sie schon den ganzen Vormittag vor dem Fernseher herum und konnte sich nicht aufraffen etwas anderes zu tun. Lustlos zappte sie weiter. Von der Verkaufssendung, wo ein unschlagbares Putzmittel wie Sauerbier angepriesen wurde schaltete sie weiter und landete bei einer Widerholung einer, der Kleidung und den Frisuren nach, uralten Soap. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Wie die da aussahen! Alleine dafür lohnte es sich schon das anzusehen. Martta fragte sich, ob die Menschen in zwanzig Jahren auch mal über ihre Mode lachen würden. Wahrscheinlich aber schon. In der Flimmerkiste stritten sich gerade ein junges blondes Mädchen und ein älterer Mann. Vor lauter Überlegungen über die Kleidung, war ihr ganz entgangen, um was es da ging. Doch sie hatte keine Bedenken, dass sie es noch mitbekommen würde. In der Regel konnte jeder, der auch nur einen IQ von 0,5 besaß, diesen Geschichten folgen. Gerade flog eine Blumenvase durchs Bild. Martta hob eine Augenbraue. Oha! Jetzt ging es richtig los. Die Blonde war inzwischen in Tränen ausgebrochen und schrie den anderen mit knallrotem Gesicht an. „Ich habe langsam die Nase voll von deinem Hin und Her. Entscheide dich endlich. Sie oder ich!“ Martta musste grinsen. Wenn die Kleine öfter so aussah musste sie aufpassen, dass er sie nicht sitzen lies. Und wo blieb überhaupt die betrogene Ehefrau, die musste ja auch noch auftauchen. Sie kuschelte sich bequemer in ihr Bett und legte die Fernbedienung weg. Vielleicht konnte sie ja hier noch was lernen. Auch wenn sie stark daran zweifelte, dass sie jemals in eine solche Situation geraten würde. Belustigt folgte sie dem Verlauf der Handlung. Der Streit dauerte noch eine Weile an und plötzlich zog die Blonde ein scharfes, stabiles Anglermesser hervor und richtete dieses auf den Mann. Starr vor Schock starrte er die Frau an, während diese sich auf ihn zubewegte. „Das…das…Nimm doch Vernunft an, so kannst du kein Problem lösen.“ Stieß er stoßweise hervor. „Doch, das…“ Ihre weitere Antwort wurde von einem grellen Blitz mit sofort folgendem gellenden Donner unterbrochen. Sie zuckte erschrocken zusammen. Diese Schrecksekunde nutzte der Mann und schlüpfte aus dem Zimmer und dann schnell aus dem Haus. Die Strasse lag verlassen da im Gewitter, es waren weit und breit keine Menschen zu sehen. Der Mann sah sich für einen Sekundenbruchteil um, dann wandte er sich nach rechts und lief im Laufschritt die Straße entlang. Er hatte schon einen kleinen Vorsprung als die blonde Frau ebenfalls auf die Strasse trat, das Messer im Anschlag. „Na warte du Feigling! Dich kriege ich schon!“ Kreischte sie und machte sich an die Verfolgung. Der Mann, der sich immer wieder nervös umsah, reagierte sofort. Er erhöhte seine Geschwindigkeit und erreichte keuchend einen wartenden Bus. Schnell sprang er hinein und rief dem Busfahrer zu: „Schließen sie die Tür, fahren sie los! Sofort! Sie will mich umbringen!“ Doch der behäbige Busfahrer reagierte nicht wie gewünscht. Langsam drehte er sich zu seinem heftig keuchenden und sehr aufgeregten Fahrgast um und musterte ihn bedächtig. „Immer mit der Ruhe. Ich fahre ja gleich.“ Er hatte schon den Finger auf dem Knopf der die Türen schloss, doch bevor ihr zischendes Geräusch erklang, das das Schließen der Türen einläutete, stand schon die blonde Frau vor ihnen im vollen Bus. Hektisch wackelte sie mit ihrem Messer in der Luft herum und drohte dem älteren Mann. Doch außer diesem schien keiner der anderen Fahrgäste mitzubekommen, dass sie bewaffnet war. Möglichst unauffällig versuchte er sich unter die restlichen Fahrgäste zu mischen, suchte Schutz, versuchte jedoch gleichzeitig die Blonde im Blick zu behalten. Mit jedem Schritt den er sich von ihr entfernte, schien sie zu altern, während er immer jünger wurde. Erst glaubte er sich geirrt zu haben, doch schnell wurde ersichtlich, dass dem nicht so war. Die ehemals blonden Haare waren grau geworden und die schlaffe Haut krauste sich zu Falten, während seine grauen Schläfen sich wieder dunkel färbten. Noch während er sich fragte, was hier vor sich ging spürte er den Stoß. Stöhnend sank er zusammen und fiel wie ein Stein mitten im Gang des Busses auf den Rücken. Als Martta das Gesicht des Mannes sah, schrie sie entsetzt auf. Keuchend saß sie aufrecht mitten in ihrem Bett, während vor dem Fenster weiterhin das Gewitter tobte. Tief atmete sie ein und aus und versuchte sich zu beruhigen. Es war nur ein Traum, wiederholte sie immer wieder wie ein Mantra in ihrem Kopf. Nur im Traum verwandelten sich junge Frauen in alte und Messer plötzlich in Regenschirme. Doch Mattis Gesicht, als er da niedergeschlagen auf dem Boden gelegen hatte, wollte einfach nicht vor ihrem inneren Auge verschwinden. Und, sie schluckte, die Hand die den Regenschirm gehalten hatte, der auf Mattis Kopf niedergesaust war, hatte zwar der alten, ehemals blonden Frau gehört, doch hatte an deren Finger deutlich ihr Ring mit dem roten Stein gesteckt… Sie war es gewesen… Sie hatte im Traum Matti niedergeschlagen! Fast ärgerlich strich sie sich die verschwitzten Locken aus dem Gesicht. Jetzt quälte er sie schon im Schlaf. Was sollte denn als nächstes kommen? „Martta?! Martta ist alles in Ordnung?“ Hörte sie die Stimme ihrer Tante zwischen dem Klopfen an ihrer Tür. „Martta?“ „Ja.“ Antwortete sie mit gehobener Lautstärke und Leena betrat das Zimmer. „Alles in Ordnung?“ Wiederholte diese die Frage. „Du hast schrecklich geschrieen.“ Fuhr sie erklärend fort und setzte sich auf Marttas Bettkante. „Ich habe nur geträumt.“ Gab diese mit einem kleinen, peinlich berührten Lächeln zu. Es war ihr unangenehm. Sie hatte sich verhalten wie ein kleines Kind mit Alpträumen. Okay, es war ein Alptraum gewesen, aber trotzdem hätte sie nicht so schreien müssen! „Was war es denn, war es schlimm?“ Leena streckte die Hand aus und fuhr der Jüngeren sanft durch die Haare, wie sie es immer bei Teresa tat, wenn diese einen Alptraum gehabt hatte. Unwillkürlich schloss Martta die Augen und genoss die unverhoffte Liebkosung, fragte sich jedoch gleichzeitig, wann ihre Tante das das letzte Mal getan hatte. Ihr über die Haare gestreichelt, weil sie schlecht geträumt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie dies oft hatte tun müssen. Oft jede Nacht, oder sogar häufiger. Auch Leena schien an diese Zeit zurück zu denken, denn sie lächelte ein wenig traurig und strich ihr erneut übers Haar. „Wie früher, nicht?“ Stellte sie fest. „Ja.“ Martta nickte nachdenklich. Sie hatte den Traum schon fast vergessen. „War es…“ Wagte sich Leena vorsichtig nach vorne. „…Dasselbe Thema, dass dich gequält hat?“ „Nein.“ Martta schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Mist im Fernsehen gesehen und bin darüber eingeschlafen und habe wohl irgendwie die Geschichte auf meine Art weitergeträumt.“ Erklärte sie. Den genauen Inhalt ihres Traumes verschwieg sie lieber, denn sonst hätte es mit Sicherheit dumme Fragen und Bemerkungen gehagelt. „Ja, das passiert manchmal.“ Lena nickte. „Dass Realität und Phantasie in einem Traum verschmelzen.“ „Das fühlt sich voll blöd an.“ Müde fuhr sich Martta durchs Gesicht und schwang dann die Beine über die Bettkante. „Dann sollte man sich nicht einen solchen Mist im Fernsehen angucken.“ Antwortete Leena, ganz Mutter. „Ja, wahrscheinlich. Aber es regnet so.“ Martta zog die Nase kraus, während ihre Tante anfing zu lachen. „Dich kann man auch nicht zufrieden stellen. Erst ist es zu heiß, jetzt regnet es. Was kommt denn als nächstes?“ Die Jüngere zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Es ist halt so langweilig.“ Leena erhob sich. „Dann tu dich mit Teresa zusammen, die hat das selbe Problem.“ „Ja, mal gucken.“ Martta stand auf und reckte sich. Dann gähnte sie. „Es war auf jeden Fall eine dumme Idee jetzt zu schlafen. Ich werde überhaupt nicht mehr wach.“ Erneut musste sie gähnen. „Dann spiel was mit Teresa, die bringt dich auf Trab.“ Animierte Leena energisch ihre Nichte. „Okay.“ Diese folgte der Tante aus ihrem Zimmer und ins untere Stockwerk. Etwas Besseres hatte sie sowieso nicht zu tun.
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