„Was gibt’s denn so Dringendes?“ Anneli sah ihre Freundin gespannt an. Sie hatten sich während einer Unipause in einem Cafe getroffen und saßen nun an einem Tisch in der hintersten Ecke. „Matti hat mich geküsst.“ Platze Martta heraus. „Aha. Und wie wars?“ „Alles was du dazu zu sagen hast ist ‚aha’?!“ Martta war kurz vorm Platzen. „Was soll ich denn sonst sagen? Außerdem ist es keine wirkliche Überraschung. Und was ist dann passiert?“ Anneli lehnte sich neugierig vor. „Was soll denn passiert sein? Nichts. Er ist verschwunden. Aber warum ist das keine Überraschung?“ Martta fühlte sich kurz vor dem Hyperventillieren. „Hey, komm mal wieder runter.“ Beruhigend legte Anneli der Freundin eine Hand auf den Arm. „Wie soll ich mich beruhigen, wenn du so etwas sagst?“ Trotz der Aussage zwang sie sich dazu einmal tief durchzuatmen. „Hast du das wirklich nicht gemerkt? Immer noch nicht?“ Fragte Anneli ruhig. „Was hätte ich merken sollen?“ Martta hatte sich merklich beruhigt. „Das Matti in dich verliebt ist.“ Erklärte Anneli als wäre es das Natürlichste der Welt. „Er…Was?!“ „Er ist in dich verliebt, deshalb hat er dich geküsst und deshalb wundert es mich nicht.“ Erklärte Anneli. „Aber…aber…Seit wann?“ Anneli warf ihrer Freundin einen fast mitleidigen Blick zu. „Wenn ich Joni glauben kann seit etwa zehn Jahren.“ „Seit…“ Nun versagte Martta die Stimme. Sie atmete einmal tief durch. „Du willst mich doch jetzt verarschen.“ „Nein, will ich nicht.“ Anneli hatte nach der Hand ihrer geschockten Freundin gegriffen und hielt sie beruhigend fest. „Und wie gesagt, das hat Joni gesagt. Allerdings kann ich nur hinzufügen, dass, was die aktuelle Entwicklung betrifft, meiner Meinung nach kein Zweifel besteht.“ „Du meinst…Er ist wirklich…?“ Erkundigte sich Martta nun leise. Sie brauchte immer noch, um sich an diese Nachricht zu gewöhnen. „Ja, Martta.“ Anneli drückte ihre Hand. „Das ist er.“ „Und du bist wirklich sicher?“ Versicherte sie sich noch einmal. „Ganz sicher. Du kannst ruhig jemand anderes fragen. Es weiß jeder…außer dir und ich fand nur, dass du auch das Recht hast, es zu wissen.“ Eindringlich sah Anneli Martta in die Augen. „Und überleg dir gut, was du daraus machst.“ Martta nickte stumm, dann senkte sie den Blick und begann nachdenklich auf ihrer Unterlippe zu kauen. „Weißt du…“ Begann Martta nach einer Weile und hob den Blick wieder, dass sie Anneli in die Augen sehen konnte. „Er hat mich gestern gefragt, ob ich nicht mit zu seinen Eltern fahren will.“ Anneli hob überrascht eine Augenbraue, unterbrach die Freundin jedoch nicht. „Und ich…“ Martta schüttelte den Kopf. „Ich habe ihm noch geantwortet, dass man so was nur mit seiner Freundin machen würde.“ „Und was hat er dazu gesagt?“ „Dass das auch so ginge.“ Anneli lächelte die Andere liebevoll an. „Wie gesagt, überlege dir gut, was du willst und sag’s ihm dann endlich.“ Martta nickte stumm. „Und das stimmt wirklich mit den zehn Jahren?“ Anneli konnte ihr ansehen, dass sie daran ganz besonders zu knabbern hatte. Dass sie es all die Jahre nicht geahnt hatte. „Das ist das, was Joni sagt. Wenn du es genau wissen willst, muss du jemanden fragen, der euch schon so lange kennt.“ „Mhm.“ Nickte Martta. „Ich muss jetzt weg.“ Erklärte Anneli nach einem kurzen Blick auf die Uhr. Die Uni rief. „Aber denk darüber nach, okay?“ Martta nickte nur und blieb alleine mit ihren wirren Gedanken zurück. Wenn das stimmte, was Joni da behauptete, dann… Sie ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit eintauchen. Hatte es Anzeichen gegeben? Sie waren lange unzertrennlich gewesen, hatten fast alles zusammen gemacht. Und sie hatte immer tiefe Freundschaft für ihn empfunden. Aber er? Er war immer ein guter Freund für sie gewesen. Umsichtig, behutsam, lustig, liebevoll und hatte sich immer vor sie gestellt, wenn etwas Unerfreuliches auf sie einprasselte. Kurz… Sie riss erschrocken die Augen auf. Er war in sie verliebt gewesen? War es noch? Schnell ging sie zur Theke und bezahlte ihren Kaffee. Sie musste an die frische Luft, sich bewegen. So konnte sie am besten nachdenken. Draußen lenkte sie ihre Schritte zum Seeufer. Matti war in sie verliebt. Auch jetzt noch? Saß vielleicht gerade irgendwo und dachte sehnsüchtig an sie? Sie stoppte in ihrem Schritt. Das war irgendwie…verrückt, merkwürdig… Sie ging weiter und schob die Hände in ihre Jackentaschen. Und was war mit ihr? Was fühlte sie? Fühlte sie überhaupt irgendetwas? Natürlich fühlte sie etwas. Sie waren sich ja nahe, enge Freunde. Sie biss sich auf die Lippe. Wie schwer musst es für ihn sein, immer nur der gute Freund zu sein?! Den ganze Urlaub über mit ihr in einem Bett zu schlafen? Sie hatten sich umarmt. Einmal sogar fast nackt im Pool. Warum hatte er da die Kontrolle behalten und sie jetzt verloren? War es der Alkohol gewesen? Martta seufzte. Hier gab es eindeutig mehr Fragen als Antworten. Aber wenn sie Antworten wollte, dann würde sie erst mal sich selbst im Klaren sein müssen, was sie denn auf seine Fragen antworten würde…
„Nanu, du bist schon zu Hause?“ Leena richtete sich auf und sah ihre Nichte erstaunt an. Sie stand im Vorgarten und hatte an ihren Blumen herumgewerkelt. „Scheint so.“ Brummte Martta. Sie war eine Weile in der Gegend herumgelaufen, was jedoch nicht wirklich geholfen hatte, und dann hatte sie beschlossen nach Hause zu gehen, in der Uni würde sie heute doch nichts mehr mitbekommen. „Schlechte Laune?“ Erkundige sich die Ältere ungerührt über die unwirsche Antwort. „Auch…vielleicht. Eher ratlos.“ Orakelte Martta aus der Sicht ihrer Tante. „Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst.“ „Ja, danke. Ich weiß. Aber das muss ich mit mir abmachen.“ Martta nickte der Älteren zu und wandte sich dem Haus zu. „Halt! Magst du was zu Mittag mitessen?“ Erkundigte sich Leena. „Weis noch nicht.“ Erwiderte Martta und zuckte mit den Schultern. „Eher nicht.“ Sie ging weiter, stoppte dann aber erneut. „Ach ja, ich bin nicht hier, egal wer das wissen will.“ Sie brauchte Ruhe, sonst nichts. „Okay!?“ Leenas Antwort klang mehr wie eine Frage, doch sie unterließ es. Martta war schließlich alt genug und mehr als anbieten, dass sie mit ihr reden konnte, konnte sie wohl auch nicht tun. In ihrem Zimmer angekommen warf sich Martta auf ihr Bett und versteckte den Kopf in den Kissen. Das durfte doch überhaupt nicht wahr sein! Nicht, dass es ihr unangenehm war, es war schließlich Matti. Aber warum musste er sie in einen solchen Konflikt stürzen, so dass alle Pfeiler an denen sie sich immer festgehalten hatte, eingestürzt waren? Seufzend drehte sie sich auf den Rücken, dabei fiel ihr Blick auf den kleinen Pinguin, der auf der Rücklehne der Couch saß. Niklas der Pinguin. Unwillkürlich musste sie lächeln. Matti hatte ihn ihr geschenkt, vor… Sie zog die Stirn kraus und begann zu rechnen. Ja, vor acht Jahren war das gewesen. Damals war er, wenn sie Anneli Glauben schenken durfte, schon in sie verliebt gewesen. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, als sie Niklas bekommen hatte. Sie hatte einen Film über das Leben der Pinguine gesehen und sich in die kleinen Frackträger verliebt. Und dann hatte eines Tages Niklas auf ihrem Bett gesessen. Matti hatte es vehement abgestritten, dass er von ihm kam, doch sie hatte den Kassenzettel bei ihm im Papierkorb gesehen. Ihm jedoch auch nie gesagt, dass sie es wusste, sondern sich still gefreut. Kurz entschlossen erhob sie sich und holte Niklas zu sich ins Bett. Nachdenklich betrachtete sie den flauschigen Kerl. Doch auch er konnte ihr die große, drängende Frage nicht beantworten. Fühlte sie mehr als Freundschaft für Matti? Wollte sie das überhaupt wissen? War sie dazu verpflichtet, sich darüber klar zu werden, nur weil er es war? Sie seufzte. Natürlich musste sie sich klar darüber werden, wie es mit ihnen weitergehen würde, sie konnte ja nicht einfach so tun als wäre nichts passiert. Oder?
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