Martta trat aus dem Haus auf dem Bürgersteig, schloss die Tür hinter sich und seufzte auf. Einerseits erleichtert, denn das war der langweiligste Abend ihres Lebens gewesen, andererseits entnervt, da sie sich am anderen Ende der Stadt befand und keine Ahnung hatte, wie sie denn nach Hause kommen würde. Zu Fuß wäre sie mindestens die halbe Nacht unterwegs, doch das behagte ihr sowieso nicht. Aber ein Taxi? Das war ihr ja eigentlich zu teuer, allerdings gab es keine weitere Möglichkeit, außer dort zu versauern. Aki war, wie die meisten der Partygäste inzwischen so besoffen, dass sie von ihm keine Hilfe erwarten konnte. Doch sie wollte es auch nicht. Sie war sauer. Was hatte er sich denn dabei gedacht, sie mitzuschleppen und dann den ganzen Abend über absolut nicht zu beachten? Mit angesäuerter Miene zog sie ihr Handy hervor und bemerkte zu ihrer Überraschung, dass sie eine SMS bekommen hatte und das erst vor wenigen Minuten. Sie öffnete die Nachricht. ‚Sag mal, weißt du was, was ich Anneli schenken könnte? Matti’ Kurz und knapp und kein Wort zuviel, typisch Matti. Aber woher sollte sie etwas aus dem Ärmel zaubern, was er Anneli zum Geburtstag schenken könnte? Kopfschüttelt drückte sie intuitiv auf das Verbinden-Symbol und keine fünf Sekunden später hatte sie Matti an der Strippe. „Sag mal, früher ist dir das nicht eingefallen?!“ Fiel sie mit der Tür ins Haus. „Wieso, ich hab doch noch drei Tage.“ Erklärte er gelassen. „Hei, erst mal.“ „Ja, hei.“ Stimmte Martta zu. „Aber ich habe so spontan auch keine Idee.“ Sie runzelte konzentriert die Stirn und überhörte dabei, dass sich einer der betrunkenen Partygäste von hinten anschlich. „Sch’ne Frau.“ Er hickste und Martta verzog das Gesicht, brachte ein paar Schritte zwischen sich und ihn und wandte sich ab, um ihm ihre Ablehnung zu zeigen. Eine Bewegung, die sie besser unterlassen hatte, denn er kam noch näher und legte ihr den Arm um die Schulter. „Wie wärs’n mit uns Süße?“ „Lass mich in Ruhe!“ Martta machte sich ruckartig und wenig behutsam los und ging erneut auf Abstand von ihm. Sie hasste es von Betrunkenen angemacht zu werden, wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich von dieser verdammten Party wegzukommen. Der Betrunkene hatte mit seinem vollen Gewicht auf ihrer Schulter gehangen und immer noch hatte sie den unangenehmen Geruch seines Bieratems in der Nase. „Sei nich so v’rklemmt…Spaß...“ Erneut stellte er ihr nach, doch diesmal nahm Martta die Beine in die Hand und rannte zwei Straßen weiter bis sie sicher war ihn abgehängt zu haben. Keuchend lehnte sie sich an eine Hauswand. Als wäre der Abend nicht schon beschissen genug gewesen, das hatte ihr gerade noch gefehlt! Aber sie war sich eigentlich sicher, dass der andere viel zu besoffen gewesen war, um ihr folgen zu können. „Martta! Martta, bist du noch da? Verdammt Martta, was ist da los? Geht es dir gut?“ Vernahm sie plötzlich Mattis aufgeregte Stimme aus ihrem Handy, das sie immer noch umkrampft festhielt. „Ja, ich…alles okay.“ Sie atmete immer noch schwer. „Was ist denn los? Wo bist du?“ Hörte sie wieder Matti mit eindringlicher Stimme fragen. Sie seufzte. „Ich war mit einem Kommilitonen auf einer Party. Aber das war der absolute Reinfall und deshalb wollte ich gehen und stehe grad auf der Straße. Das eben war so ein besoffenes Arschloch von der Party.“ „Du stehst auf der Straße?“ Hörte sie ihn besorgt fragen. „Wo denn?“ Sie nannte ihm, nach einem kurzen Blick auf das Straßenschild, die Straße in der sie sich gerade befand. „Und wie kommst du jetzt nach Hause? Fährt er dich? Ist er wenigstens nüchtern?“ „Nein, ich bin allein gegangen und werde mir wohl ein Taxi rufen müssen, wenn ich nicht nach Hause laufen will.“ Seufzte sie entnervt. „Was? Nein!“ Sie hörte Geräusche am anderen Ende der Leitung. „Hör mal Martta!“ Vernahm sie schließlich wieder Mattis tiefe Stimme. „Du bleibst genau da stehen, wo du jetzt bist! Ich hole dich.“ „Was? Das musst du nicht! Ich kann auch…“ „Nein!“ Fiel er ihr ins Wort. „Du bleibst genau da stehen und…“ Sie hörte im Hintergrund eine Tür knallen. „…Erzählst mir was.“ „Was soll ich dir denn erzählen?“ Völlig verwirrt von dieser Aussage vergaß sie ganz zu protestieren. „Irgendetwas. Nur dass ich noch höre, dass du dran bist.“ Wieder hörte sie eine Tür, diesmal hörte es sich an wie eine Autotür. Und wirklich hörte sie ihn kurz darauf den Motor starten. „Wie?“ Vor Verblüffung über sein Verhalten stand sie immer noch auf dem Schlauch. „Warte mal.“ Sie hörte nur einige ferne Geräusche. „So, jetzt kann ich wieder reden.“ Er hatte die Freisprechanlage angebracht. „Ich meinte nur, dass wir weiter Telefonieren.“ Nahm er den Faden wieder auf. „Ich lege doch sicher nicht auf, wenn du da am Arsch der Welt stehst.“ Marta spürte, wie sich mit einem Mal ein angenehm warmes Gefühl in ihrem Bauch ausbreitete. Er war besorgt! Um sie! Sie, die sich in den letzten Jahren wie der letzte Mensch ihm gegenüber verhalten hatte. Ein Gefühl der Ruhe überkam sie. „Das ist…“ Sie schluckte. „…schön.“ „Was?“ Matti hörte nur mit halbem Ohr zu, da er sich aufs Fahren konzentrieren musste. „Das ist schön, dass…dass du dir…Sorgen machst.“ Sie biss sich auf die Lippe. War es klug gewesen ihm das zu sagen? Klang es nicht…merkwürdig? Aber egal, sie hatte es ja jetzt gesagt und konnte es schlecht zurücknehmen. „Natürlich mache ich das!“ Er klang fast ein wenig ärgerlich. „Danke. Aber weißt du was?!“ Redete sie schnell weiter, um damit zu überspielen, dass es sie berührte. Er hatte gewollt, dass sie ihm etwas erzählte, also würde sie das nun auch tun! „Nein. Was?“ Er klang amüsiert. „Soll ich dir nun was erzählen, oder nicht?“ Schon längst hatte Martta vergessen, dass sie immer noch allein mitten in der Nacht auf einer fremden Straße herumstand. Sie war völlig auf das Telefongespräch konzentriert. „Doch, ich bitte darum.“ Nun hörte sie ihn leise lachen. „Lach mich nicht aus!“ „Niemals.“ Es hörte sich fast so an, als würde er kichern. Martta zog die Stirn kraus. Matti kicherte?! „Ich werde dich nicht weiter beachten, sondern nur erzählen, was Anneli schon wieder für einen Bock geschossen hat.“ „Was hat sie denn schon wieder gemacht?“ Er kannte Anneli und ihre Missgeschicke, aber von einem Neuen hatte er noch nichts gehört. Martta grinste. „Sie hat einen Unfall verursacht. Mit dem BMW ihres Vaters.“ „Oho! Der wird sie aber dafür lieben.“ „Eher nicht. Aber das bringt auch nur Anneli fertig, dass sie das Auto mitten auf der Kreuzung abwürgt. Und dann, als sie ihn endlich wieder am laufen hatte, da hat sie, dank der ungewohnten Automatikschaltung, den Rückwärtsgang rein und ist so voll in das Auto hinter ihr geknallt.“ „Oh, es ist doch aber hoffentlich niemandem etwas passiert?!“ „Ach wo. Bei dem Tempo doch nicht. Es gab nur Blechschaden.“ „Wenigstens etwas.“ Matti atmete auf. „Dafür hat ihr Vater ihr aber die Todesstrafe angedroht, sollte sie seinem Auto jemals wieder auch nur näher als zehn Meter kommen.“ „Gut, dann weiß ich jetzt, wem ich niemals mein Auto anvertraue. – Hei.“ Matti stoppte das Auto neben Martta und öffnete die Tür. „Oh, hei!“ Sie fuhr herum, da sie mit dem Rücken zur Straße gestanden hatte. „Du bist schon da?“ „Was heißt hier schon?“ Matti sah auf seine Uhr und stieg dann aus. Er war flüssig vorangekommen, da sonntagnachts nicht wirklich viel los war, aber wirklich kurz hatte er auch nicht gebraucht. „Es kam mir kurz vor.“ Erklärte sie und zuckte mit den Schultern. „Umso besser.“ Er versuchte ein kleines Lächeln, doch eigentlich fühlte er sich so, wie sie aussah – unsicher. Mit hängenden Schultern standen sie sich gegenüber, keiner von ihnen wusste so recht, wie sie sich begrüßen sollten. Mit einer Umarmung, per Handschlag oder reichte das kurze ‚hei’ von zuvor? „Danke, dass du gekommen bist.“ Auch sie verzog ihren Mund kaum sichtbar. „Immer wieder gerne. – Sollen wir fahren?“ Löste er die peinliche Situation. „Ja, gerne.“ Sie ging um das Auto herum und stieg ein und auch Matti setzte sich wieder hinters Steuer.
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