Als Vellu aufwachte, hörte er Glas splittern. Erschrocken fuhr er hoch und sah Tommi, der gerade 3 Bierflaschen in der Hand hielt und erschrocken auf den Boden schaute, wo eine zerbrochene Flasche lag. „Tommi?“ Dieser zuckte zusammen und hätte beinahe eine weitere Flasche fallen gelassen. Langsam richtete Vellu sich auf und besah sich das Chaos in seinem Wohnzimmer. „Oh Mann“, war alles, was ihm darauf einfiel. Seine Glieder schmerzten, wahrscheinlich vom Liegen auf der Couch. Tommi hatte unterdessen Handfeger und Müllschippe geholt und begann, das Glas aufzusammeln. Mit einem Stöhnen ließ sich Vellu wieder aufs Sofa fallen. Tommi verschwand wieder und kam mit einem Staubsauger zurück. Der Lärm des Saugers ließ Vellu, der noch müde war, zusammenfahren. Doch die restlichen Scherben waren schnell aufgesaugt und schon war Tommi wieder weg. Kurz danach hörte er Geräusche aus der Küche. Irgendwie kam sich Vellu noch nicht richtig wach vor. Doch schließlich konnte er sich doch aufraffen und trottete langsam in die Küche, wo Tommi gerade den Frühstückstisch gedeckt hatte und sich jetzt auf einen Stuhl setzte. „Morgen“, murmelte er verschlafen. „Morgen“, kam es leise von Tommi. Der Trainer konzentrierte sich jetzt auf seinen Kaffee, von dem er auch Veli-Matti eine Tasse gemacht hatte. Der Hausherr setzte sich jetzt ebenfalls an den Tisch und nahm sich auch zuerst den Kaffee vor. Nach einem tiefen Schluck runzelte er die Stirn. „Wo ist Matti?“ Tommi schaute nur kurz auf. „Er ist zu Jussi gefahren. Das Baby ist da.“ Bei Vellu dauerte es einen Moment, bis der Groschen gefallen war, aber dann machte er große Augen. „Oh, toll! Was ist es denn?“ „Ein Mädchen.“ Vellu fiel Tommis Wortkargheit auf, doch er schob es auf einen möglichen Kater. Durch den Kaffee fühlte er sich schon ein wenig besser. Er nahm sich das Brot von der Mitte des Tisches und schnitt sich eine Scheibe ab. „Du auch?“, fragte er Tommi. „Vellu, kannst du dich noch an den ganzen Abend gestern erinnern?“, kam es anstelle einer Antwort. Schnell nahm Tommi einen Schluck von seinem Kaffee. Er hatte das jetzt nicht fragen wollen, aber es war ihm rausgerutscht. Dann schaute er sein Gegenüber an. „Hast du ein Blackout?“, fragte er ungläubig. „Ja ich glaub schon“, antwortete er vorsichtig. „Naja, wir haben Singstar gespielt und getrunken, irgendwann ist Matti dann auf dem Sessel eingeschlafen.“ Er konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, aber generelle Erinnerungen hatte er ganz klar. „Und…dann?“ Oh nein, dann hatte er angefangen zu weinen. Wie peinlich. „Hmm, na ja“, druckste Vellu herum. „Scheiße“, dachte Tommi und sah Vellu erschrocken an. Was hatten sie gemacht? Wollte er das überhaupt noch wissen? „Was war dann?“ Vellu schaute Tommi ein bisschen überrascht an. Warum wollte er das so genau wissen? Musste er das jetzt unbedingt noch mal erwähnen? „Ich hab angefangen zu heulen“, sagte er und wurde rot. „Echt? Warum das denn?“ Jetzt war Tommi überrascht. „Hmm, weiß nicht mehr. Da hast du mich getröstet. Das war alles.“ „Achso“, sagte Tommi erleichtert. „Wenigstens schien es ihn nicht besonders interessiert zu haben, dass ich geheult hab“, dachte Vellu, ebenfalls erleichtert. Doch dann war er neugierig: „Warum wolltest du das denn so genau wissen?“ „Ach, nicht so wichtig.“ Wie peinlich! Wie war er überhaupt auf so was gekommen? „Ne, das will ich jetzt auch wissen!“ Er schnitt jetzt doch noch eine Scheibe ab und gab sie Tommi, der sie dankend annahm. „Ach, weißt du…“, jetzt war es Tommi, der herumdruckste. „Naja, du hast irgendwie so halb auf mir geschlafen und ich wusste nicht mehr, wie es dazu gekommen war“, erklärte er dann. Schnell konzentrierte er sich auf die Butter. Als Vellu das hörte, musste er laut lachen.
„Ich dusch dann mal“, sagte Tommi zu Vellu. Sie waren fertig mit Frühstücken und Tommi überließ es dem Springer alles wegzuräumen, schließlich hatte er den Tisch gedeckt. „Warte, ich hol dir nur schnell noch ein Handtuch“, sagte Vellu und ging zu einer Kommode, die aus Platzgründen in seinem Schlafzimmer stand. Er kam mit einem großen schwarz-weiß gestreiften Handtuch zurück und gab es Tommi. „Danke.“ Er ging ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Oh Mann, er sah scheiße aus! Schnell wandte er sich ab, zog seine Klamotten aus und betrat die Duschkabine. Während das kühle Wasser auf ihn niederprasselte, musste er noch mal an seine bescheuerten Ängste von vorhin denken. Warum war er sich so sicher gewesen, dass irgendetwas passiert war zwischen ihm und Vellu? Das war doch völlig abwegig, auch wenn sie beide betrunken gewesen waren. Die Idee an sich war eigentlich zum totlachen, so wie Vellu es getan hatte, aber trotzdem war er total beunruhigt gewesen. Und war es jetzt auch noch irgendwie.
*** Nachdem Vellu in der Küche alles weggeräumt hatte, saß er auf dem Sofa und zappte durch die Sender. Warum er bei Tommis Worten so hatte lachen müssen, wusste er selber nicht genau. Aber sein Trainer hatte echt besorgt gewirkt und Vellu konnte sich schon vorstellen, in welche Richtung seine Befürchtungen gegangen waren. Oh Mann, wie kam er denn auf so was? Außerdem wäre Vellu doch dann nie im Leben so normal mit ihm umgegangen, wie er das heute Morgen getan hatte. Seine Gedanken wurden unterbrochen durch den Klingelton eines Handys, das nicht sein eigenes war. Er schaute neben sich auf das Sofa, wo Tommis Handy lag. Entweder war es Tommi aus der Tasche gerutscht oder er hatte es absichtlich dort hingelegt, damit Vellu abnahm. Sollte er drangehen? Er nahm sich das Handy und schaute auf den Display. Miia. Kurzentschlossen nahm Vellu den Anruf entgegen. „Hallo?“ „Wer ist da?“, fragte sie verwirrt. „Veli-Matti Lindström. Tommi duscht gerade.“ „Achso.“ „Soll ich ihm was ausrichten?“ „Ja, kannst du machen, stimmt. Mein Wettbewerb geht noch bis morgen. Danach fahre ich aber direkt zu einem Shooting. Sag ihm, dass ich erst übermorgen gegen Mittag wieder da bin.“ „Okay mach ich. Soll er noch mal zurückrufen?“ „Ja, das wäre schön… wobei, nein, ich hab jetzt eigentlich keine Zeit mehr, ich muss gleich wieder los.“ „Achso gut, dann noch viel Glück.“ „Danke schön“, antwortete sie, angenehm überrascht. „Also dann, tschüss.“ „Tschüss.“ Er legte das Handy wieder neben sich. Tommi würde also mal ein bisschen Zeit ohne sie haben, nachdem was er gestern gesagt hatte, würde ihn das sicher freuen. Vellu musste grinsen – sie passten so überhaupt nicht zusammen. Klar, Miia war eigentlich gar nicht mal so übel, sie sah natürlich richtig gut aus. Er hätte nie gedacht, dass Tommi mal mit einem Model zusammen sein würde. Aber er konnte sich vorstellen, dass sie manchmal ganz schön nervig war. Mona war da viel besser gewesen, gerade von ihrer Art. Sie war nicht so total pienzig sondern viel cooler. Nein, er wollte jetzt nicht an sie denken. Das machte ihn nur wieder traurig. Wenn er Mico das nächste Mal sehen würde… Er ballte die Faust. „Veli!“, hörte er da Tommis Stimme. Dieser war inzwischen fertig mit duschen, hatte aber leider nichts Frisches zum Anziehen, schließlich hatte er nicht damit gerechnet, hier zu übernachten. Nur mit einem Handtuch, das er um die Hüfte gebunden hatte, kam er ins Wohnzimmer. Vellu schaute auf. Irgendwie fiel ihm zu allererst auf, dass Miia eigentlich übertrieb. Er fand nicht, dass Tommi unbedingt eine Diät nötig hatte. Er war jetzt nicht total durchtrainiert, aber er war ja auch kein Leistungssportler mehr. „Sag mal, hast du vielleicht was zum Anziehen für mich?“ Tommi kam sich ein bisschen blöd vor. Er fragte den jüngeren, kleineren und schlankeren Vellu nach Klamotten für sich. Hatte er überhaupt etwas, das ihm passen würde? Der andere musste grinsen und stand dann auf. „Ich guck mal, komm mit!“ Sie gingen ins Schlafzimmer. Da war Tommi bis jetzt noch nicht drin gewesen und er fand, dass es eigentlich ganz gemütlich aussah. Die langen Vorhänge hielten die Sonnenstrahlen gut ab, machten das Zimmer aber auch nicht zu dunkel. Außerdem gefiel ihm der große, alte Kleiderschrank, auf den Vellu jetzt zuging. „Du kannst ja einfach mal durchschauen“, sagte er und trat einen Schritt zur Seite, damit Tommi einen Blick in den Schrank werfen konnte. „Welche Sachen kann ich denn nehmen?“ „Such dir einfach irgendwas aus.“ Hmm, seine Hose konnte er eigentlich auch wieder anziehen. Aber ein neues T-Shirt wär’ ganz gut. Schließlich entschied er sich für ein weites rotes T-Shirt mit irgendeiner Aufschrift. Das passte ihm dann auch. „Okay, brauchst du sonst noch etwas?“, fragte Vellu, der sich inzwischen auf seine Bettkante gesetzt hatte, ihn. „Nein danke, das geht schon. Aber danke für das T-Shirt.“ „Kein Problem“, antwortete Vellu lächelnd. Tommi ging wieder ins Bad zurück und zog dann seine Hose an. Er schaute an sich herunter. Er trug also Vellus T-Shirt. An dem Skispringer sah es bestimmt besser aus als an ihm. Er schnupperte kurz am Ärmel, aber das Shirt roch nach nichts.
Als er wieder raus kam, fand er Vellu wieder im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Er setzte sich dazu, allerdings auf den Sessel. „Ach übrigens“, erinnerte Veli sich wieder. „Miia hat angerufen.“ „Oh“, antwortete Tommi. Wann wollte sie noch mal zurückkommen? Er wusste es nicht mehr. „Sie kommt erst übermorgen zurück, so gegen Mittag“, richtete Vellu aus und Tommi stellte sich unwillkürlich die Frage, ob Vellu Gedanken lesen konnte. „Außerdem musst du sie nicht zurückrufen“, meinte er der andere grinsend. „Alles klar, okay“, sagte Tommi nickend. „Danke, dass du rangegangen bist.“ „Ja ist doch klar. So musstest du nicht rangehen, he?“, sagte er grinsend. „Hm“, sagte Tommi nachdenklich. Dann schaute er Vellu ein bisschen zerstreut an. „He, so ist das auch nicht. Ich dachte nur, ich hätte den Anruf verpasst und dann hätte ich nicht gewusst, wann sie zurückkommt.“ „Aha“, sagte Vellu, nicht gerade überzeugt. Er musterte Tommi prüfend. Der Trainer schien mit Miia nicht gerade glücklich zu sein, das war zumindest der Eindruck, den er machte. Aber er wollte nicht länger darauf herumhacken. „Und, was machst du heute noch so?“, fragte er stattdessen. Tommi hatte überlegt, ob Veli Recht gehabt hatte, aber bei dessen Frage jetzt fiel ihm wieder ein, was Matti gesagt hatte. „Ich kann noch ein bisschen hier bleiben, wenn du nichts dagegen hast.“ „Du musst dich nicht um mich kümmern, wenn du nicht willst. Also ich hab kein Problem damit, wenn du lieber was anderes machen willst.“ Was sollte er denn machen? Zu hause wartete niemand auf ihn, außer vielleicht die Hausarbeit, und Pläne hatte er für heute nicht. „Würde es dir denn helfen, wenn ich noch bleibe? Ich hab echt nichts anderes vor, das geht schon.“ „Ja“, antwortete Veli leise. Es gab ihm echt ein besseres Gefühl. Erst Matti, der einfach von Kuopio hier her nach Lahti gekommen war, um ihm zu helfen und jetzt sein Trainer, der einfach seine Zeit für ihn opfern wollte. „Danke Tommi.“
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